ALL OUT STREET COMBAT
Reality Based Self Protection -------- Selbstschutz statt Kampfsport

Lee Morrison

Clevere Tipps für die Straße (Situationskontrolle oder Proxemik)

– verfasst von Lee Morrison –

(übersetzt von Matthias Golinski)

Vermeidung und Fluch wo immer möglich ist das Wichtigste.

Die folgenden Ratschläge gelten als Bestandteil des Bereichs der häufig als Selbstschutz-Strategie bezeichnet wird. Dieser bezieht sich darauf, eine eingeübte, tief verfestige Reaktion zum Umgang mit jeder potentiell-konfrontativen Situation zu haben, in der wir uns wiederfinden könnten. Entweder auf der Straße, oder sonst wo, wo wir uns in unserem Alltagsleben bewegen. Ohne hier ins Detail gehen zu wollen, da dieser Bereich bereits an anderer Stelle von anderen und mir selbst hinreichend thematisiert wurde, sind die Einzelteile der erwähnten Strategie folgendermaßen:

Aufmerksamkeit / Haltung (aufmerksam bleiben und eine selbstbewusste Körpersprache haben).

Werden Sie bedrängt, sichern Sie Ihren Freiraum durch den ‚Fence' indem Sie sich schnell zur Flanke des Gegenübers bewegen und nach einem zweiten Aggressor schauen.

Deeskalieren Sie die Situation, wenn möglich, durch abgestufte Verbalisierung.

Ist dies nicht möglich, schlagen Sie präventiv, schnell und hart zu und fliehen Sie.

Wenn nötig, schlagen Sie weiter, bis keine weitere Gefahr mehr besteht und fliehen Sie dann.

Der Fokus dieses Artikels liegt auf dem dritten Spiegelstrich, welcher sich auf die Situationskontrolle oder dem Schutz des persönlichen Freiraums bezieht. Nun sollten wir alle verstehen, wie wichtig der Schutz des Abstands zwischen Ihnen und dem Kontakt (welcher jetzt noch nicht als Gefahr eingestuft wurde) sein kann. Wie man erkennen kann, unterrichten alle Lehrer im Bereich des RBSD [Reality-Based Self-Defense, an der Realität orientierte Selbstverteidigung, Anm. d. Ü.] und des Nahkampfs generell, irgendeine Variation von Geoff Thompson's ‚Fence' [‚Zaun', Anm. d. Ü.]. Richard Dimitri unterrichtet die „passive Stellung“, Southnarc verwendet etwas ähnliches, eine Art von angehobenen Händen und komprimiertem Fence'. Joe Hubbard setzt „die Interview-Stellung“ ein und Mick Coup nutzt eine natürliche Position, welche meiner ähnelt. Ich persönlich mag eine Art des „Intermit Ant Fence“ [‚unterbrochener Armeisen-Zaun', Anm. d. Ü.], ähnlich Peter Consterdine's ‚sprechenden Händen' oder dem was Southnarc gerne „Italienisch sprechen“ nennt.

Diese Art der Haltung passt auf eine große Anzahl von Situationen, von der Behandlung einer gewöhnlichen Anfrage bis dahin, ein potentiell-gefährliches Subjekt verbal zu beruhigen. Dabei wirkt sie zwar etwas weniger passiv, aber noch immer unglaublich nicht-aggressiv. Wenn allerdings jemand sofort aggressiv wird oder mein Umfeld mir vorschreibt aus einem engeren Abstand zu agieren, verwende ich auch eine engere Handposition. Die Gemeinsamkeit die wir [die RBSD-Lehrer, Anm. d. Ü.] dabei alle teilen ist, dass es alle unscheinbare und natürliche Positionen sind, welche Ihre Hände höher als seine platzieren. Dies hat viele Vorteile. Von einem rein physischen Standpunkt aus, befinde ich mich dann in einer vorbereitenden Position aus der ich sofort einen Präventivschlag ausführen kann. Im schlimmsten Fall, wenn der Aggressor die Initiative vor mir ergreift, kann ich sofort eine Notfall-Deckung einnehmen. Davon abgesehen sehe ich für meine Gegenüber ungefährlich und unscheinbar, oder wie Charlie Nelson sagte „Unschuldig und sonderbar“ aus. Dies ist auch bei Beobachtungen durch dritte Personen wichtig. Bedenken Sie, dass alles bei dem wir gesehen oder gehört werden rückwirkend die Situation beeinflussen kann. Also denken Sie an Ihre Zeugen.

Wir müssen auch verstehen, dass die räumliche Beziehung zwischen uns und einer anderen Person, unabhängig davon ob diese sich auf uns bezieht oder nicht, oft von der Umgebung diktiert wird. Zum Beispiel: Das Stehen in einer vollen U-Bahn kann Sie praktisch Wange an Wange mit einem anderen Fahrgast stehen lassen. In einer Schlange anstehen oder in einer Menschenmenge stehen, wie etwa bei einer Musik- oder Sportveranstaltung, kann Sie ebenfalls extrem nah an andere Menschen aus ihrer Umwelt führen. Die Kommunikation in einer sehr lauten Umgebung, wie zum Beispiel etwa einer Diskothek, kann ebenfalls den Bedarf für eine große Nähe herbeiführen. Wie Sie sehen können, gibt es immer die Möglichkeit, dass eine „mehr als angenehme Nähe“ zur Realität wird. Als Geoff Thompson Anfang der 90er jedem den ‚Fence' vorgestellt hat, hat er erklärt, dass jedes Mal, wenn Sie sich mit jemandem unterhalte eine gute Gelegenheit zur Übung des ‚Fence' besteht. Er übt sogar, wenn er mit seiner Mutter spricht. Diese Übungen sind notwendig, um den ‚Fence' nicht statisch und steif, sondern natürlich und unscheinbar werden zu lassen.

Letzteres ist Teil des natürlichen menschlichen Verhaltens, wohingegen ersteres einfach zu erkennen ist und eigentlich keiner weiteren Erwähnung bedarf. Es sei denn, Sie bringen den ‚Fence' auf eine bewusste Ebene, um eine physische und verbale Abgrenzung aufzubauen. Doch das ist nicht, worüber wir hier sprechen. Was wir möchten, ist in der Lage zu sein, uns im schlimmsten Fall eines Angriffs, selbst in eine Kontrollposition, oder zumindest in eine Position mit der Möglichkeit der sofortigen Reaktion zu bringen. Wir wollen diese Art der Kontrolle, ohne sie zu zeigen, um kein Ringen um Kontrolle oder Dominanz anzufachen. Dies lässt sich eher auf die Interview-Stufe eines potentiellen Problems anwenden. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn wir angesprochen wurden und eine Art des vorbereitenden einleitenden Dialogs stattfindet. Oder wir könnten uns einfach in nächster Nähe einer potentiellen Gefahr aufhalten, die aus welchem Grunde auch immer unsere Urinstinkte geweckt hat. In diesem Fall hat die Person vielleicht noch kein Wort gesprochen oder unsere Aufmerksamkeit auf irgendeine Art erregt, aber dennoch befindet sie sich aus Gründen die nicht in unserer Kontrolle liegen in nächster Distanz. Ein Beispiel könnte etwa sein, wenn Sie sich im Fahrstuhl eines Einkaufszentrums aufhalten und ein unbekannter Kontakt einsteigt und in nächster Nähe zu Ihnen steht. Wieder wird dies von der Umgebung, dem begrenzten Raum bestimmt. Nun sollte Ihnen klar sein, dass Sie niemals absichtlich jemand unbekanntem Ihren Rücken zukehren sollten. Das ist einfach nicht clever. In unserem Beispiel mit dem Aufzug, halte ich mich soweit möglich stets an der Wand in der Nähe des Ausgangs und der Schaltknöpfe auf. Nun kann jeder Vorstoß gegen meine Person lediglich von vorne erfolgen. Mit anderen Worten– ich kann ihn kommen sehen. Ist dies nicht möglich, mache ich zumindest mit meinen Füßen eine Viertel-Drehung, sodass der Kontakt nun zu meiner Flanke steht und ich ihn zumindest in meinem peripheren Blickfeld sehen kann. Die Position welche ich hier einnehme wird in Anlehnung an den amerikanischen Komiker der stets sein Kinn hielt, bevor er über seine nächste Pointe nachdachte, häufig „der Jack Benny“ genannt. Hier bleibe ich wiederum nicht statisch, sondern mache zufällige Handbewegungen um meine Nase oder mein Ohr zu kratzen. Dabei verhalte ich mich natürlich und unauffällig, aber behalte meine Hände stets näher zusammen als mein Gegenüber, um sofort reagieren zu können.

 

Unabhängig davon, was mir meine Instinkte sagen, übe ich diese Dinge die ganze Zeit. Ich übe auch den versteckten Zugriff zu einer improvisierten Waffe aus dieser Position oder wenn ich an jemand anderem eng vorbeilaufe. Selten merkt dies jemand und selbst wenn, greife ich lediglich ganz natürlich einen Stift, ein Mobiltelefon oder einen Schlüsselbund. Dies wurde bisher niemals bemerkt. Ich weiche ab. Mein Punkt ist, dass solche Übungen mich mit oder ohne eine improvisierte Waffe, konzentriert und aufmerksam bleiben lassen und mittlerweile so natürlich und gewohnheitsmäßig sind, dass sie sofort verfügbar sind, wenn ich sie brauche. Nun werde ich ein paar Ideen vorstellen, welche sowohl zur Übung, als auch im Ernstfall eingesetzt werden können.

Stellen Sie sich vor, Sie laufen auf einem engen Pfad auf unbekannte Personen zu und können ihnen nicht ausweichen oder an ihnen vorbeigehen, ohne zumindest mit der Schulter zusammenzustoßen. Als freundliche und zuvorkommende Person (wie ich es meistens bin), würde ich wahrscheinlich zur Seite gehen und sie vorbei lassen. Ich würde sogar lächeln oder nicken und etwas wie „Guten Tag“ sagen. Unabhängig davon würde ich beim Vorbeigehen die ihnen nächste Hand anheben und sie vor meinem Gesicht halten, als ob ich meine Nase kratze. Aus dieser Position kann ich entweder einen Schlag ausführen (in diesem Fall einen Faustrückenschlag oder einen Handkantenschlag) oder im Falle eines versuchten Überraschungsangriffs eine Notdeckung aufbauen. Die gesamte Handlung sieht dabei äußerst natürlich aus, ist vollkommen unauffällig und deshalb eine sehr schlaue Sache. Keinesfalls paranoid, sondern nur prophylaktisch. Es ändert eine potentiell schwache Position in eine Plattform von der ich handeln kann. Da ist nichts Falsches dran.

Ebenso klug ist es, weit um eine Ecke zu gehen, um meine Reaktionszeit zu erhöhen, oder meine Beobachtungsfähigkeiten zu erhöhen, indem ich die Spiegelung in einem Fenster nutze, um zu sehen, was hinter mir passiert. Eine weitere gute Strategie ist folgende: Stellen Sie sich vor, Sie sind gerade an jemandem vorbeigelaufen, der lediglich an einer Wand rumhängt und nichts tut. Als Sie vorbeigehen, sehen Sie in Ihrem peripheren Blickfeld (weil Sie eine aufmerksame Person sind), dass er Ihnen nun nachfolgt. Dies könnte unbedeutend, ja vielleicht nur ein Zufall sein, aber selbst dann ist es eine gute Übung. Halten Sie an, drehen Sie sich um und lassen Sie die Person (wenn möglich ohne Körperkontakt) passieren. Machen Sie dabei einen überraschten Gesichtsausdruck und fühlen Sie ihre Taschen, als wenn Sie etwas vergessen hätten. Kommt es zum Augenkontakt, nicken Sie einfach und sagen Sie „Guten Tag“. Lassen Sie den anderen vorbeigehen und kümmern Sie sich um Ihre Dinge. Ein sehr natürliches Verhalten, welches wieder eine potentiell schwache Position zu einer Handlungsplattform verändert hat. Nehmen Sie einige dieser Ideen und machen Sie sie zu einer täglichen Angewohnheit.

 

Lee Morrison begann sein Karate-Training mit 11 Jahren in London unter Enoeda Keinosuke (1935-2003, 9. Dan). Er übte die nächsten sieben Jahre über verschiedene Karate-Stile. Anschließend trainierte er in zahlreichen anderen chinesischen, japanischen, philippinischen und thailändischen Systemen, sowie dem westlichen Boxen und Ringen. Mit 23 begann er zusätzlich mit dem Hanteltraining. In den folgenden 10 Jahren als Türsteher sammelte er wertvolle praktische Erfahrungen. Morrison hat bis heute 9 Bücher zum Themenbereich „Selbstschutz“ verfasst. Darunter auch das renommierte Werk „Close Up, Nothing Personal – Practical Self-Protection for Door Security Staff“. Ebenso vermittelt er sein Wissen auch durch zahlreiche

 

© Matthias Golinski, 2008

 

 

Der Text wurde dem Übersetzer mit freundlicher Genehmigung von Lee Morrison zur Verfügung gestellt.

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